Der Tag an dem es in Athen keine Autos gab


Ich mag Athen. Die rauhen Strassen von Psirri, die überraschende Ruhe bei Thissio, die Flohmärkte von Monastiraki. Sogar die grossen Autobahnen in und um dir Stadt herum, haben mich immer an Mexico City erinnert. Im Innern eines Autos erscheint einem die Landschaft anders. Wie ist es jedoch hier zu leben? Das wollte ich wissen. Ich wollte auch wissen, wie es ist die Sprache zu verstehen, den Alltag, Kinder zur Schule und so weiter.

Nach einigen Monaten hier habe ich das kennengelernt, was man als “das Verkehrsproblem” benennen, und ich bin Teil davon. Man kann diese Umstände in vielerlei Hinsicht beklagen. Stattdessen wurde ich dazu inspiriert, einen Text zu schreiben, in dem ich mir vorstelle, wie die Dinge anders laufen würden. Er geht ungefähr so:

Ein Tag.

Am Tag als es in Athen keine Autos mehr gab, wurde ich von Vogelgezwitscher in geweckt. Wir standen wir nicht zwei Stunden im Stau. Ich nahm kein Blei und kein Benzin zu mir, sondern meine Lungen füllten sich mit dem Duft von Jasmin und Orangenbäumen. An jenem Tag hupte mich niemand an, meine Kinder spazierten über die Straße, anstatt um ihr Leben zu rennen. Kein Drängeln im Verkehr, keine «beinahe-Unfälle», keine wütenden Gesichter oder jemand, der mit bestimmten Körperteilen in einem benachbarten Auto spielte. Die Autoreifen hinterließen keine Spuren von Mikroplastik im Grundwasser. Und da war Platz: All dieser erstaunliche Platz. Meine Nachbarn riefen an, um zu planen, was man mit all den Parkplätzen, den schönen Gärten, die wir anlegen würden, den Spielplätzen, den Plätzen für ältere Menschen und Jugendliche, den vielen, vielen Quadratmetern machen könnte. Die langen Strecken, auf denen wir früher Staus hatten, wurden nun für Fahrräder geöffnet. Politiker traten im Fernsehen auf und sagten den Athenern voraus, dass sie die fitteste und schlankste Stadtbevölkerung der Welt werden würden. Radfahrer und Fußgänger teilten sich die Straße in einer noch nie dagewesenen Harmonie. Irgendwie fand jeder seinen Platz. Wie durch ein Wunder gab es an diesem Tag nur einen einzigen Autotyp, der vom Verschwinden verschont blieb: die Schulbusse. Allerdings waren die Kinder in diesen Bussen bald davon überzeugt, dass es sicher war, mit dem Fahrrad zu fahren, es sei denn, ihre Schule war zu weit entfernt. Doch an diesem Tag ohne Autos reagierten alle sofort und schlugen vor, dass Schüler und Lehrer in denselben Stadtvierteln ihre lokalen Klassen vor Ort bilden sollten, so dass Schulbusse parkten und zu nahe gelegenen Klassenzimmern wurden. Die Eltern beobachteten, wie sich ihre Hoffnungen auf ein Homeoffice mit dem Stundenplan ihrer Kinder deckten. Zum Mittagessen offerierten Restaurant spezielle Rabatte für Familien. Es fühlte sich an wie ein Sonntag, und doch hatten alle mehr Zeit, und es musste kein Benzin bezahlt werden, es mussten keine Verletzten aus dem Verkehr gezogen werden, es gab keine Verkehrstote zu beklagen. All das hätte passieren können. Als es dann aber doch passierte, eilten wir wie alle anderen zur U-Bahn, damit die Kinder nicht zu spät zur Schule kamen. Die Züge waren überfüllt, sie kamen mit Verspätung an, Menschen schrien sich an, verängstigte Kinder, hilflose Eltern, ungewaschene Gesichter taumelten aus dem Bahnhof. Und zwischen ihrer Atemlosigkeit konnten sie sehen: Der Himmel wurde immer klarer.

Share